Von illuminierten Handschriften, versteckten Altarbildern und dem Streit um Privilegien

Unter dem Titel „Wortgewandt, kunstsinnig und standhaft – 800 Jahre Dominikaner in Wien“ beleuchtete ein international hochkarätig besetzter Kreis an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen vom 16. bis 18. Mai 2024 die Geschichte des Wiener Konvents aus kirchen- und kunsthistorischer Sicht. Das „5. Isnard-Wilhelm-Frank-Kolloquium“ griff damit das bevorstehende 800-Jahr-Jubiläum des Dominikanerklosters S. Maria Rotunda (1225/26 – 2025/26) auf. Eingeladen zu dem Vortrags- und Präsentationsevent in den Thomassaal des Konvents auf der Postgasse hatten das Dominikanerkloster Wien gemeinsam mit dem Historischen Institut der Dominikaner in Rom, dem Institut für Historische Theologie der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

„Auf der Tagung rund um das Dominikanerkloster in Wien kamen sowohl materielle als auch ikonographische und schriftliche Quellen ins Gespräch, wodurch das historische Bild über das Wirken der Dominikaner noch klarere Konturen gewann“, resümiert Dr. Viliam Štefan Dóci OP, Präsident des Historischen Instituts des Predigerordens in Rom. „Durch die Bergung neuer Erkenntnisse“, so fügt er hinzu, „trägt die Tagung dazu bei, dass manche in der bisherigen Historiographie tradierten Narrative revidiert werden können und müssen.“ Das große Interesse an der Thematik zeigte sich sowohl durch die hohe Zahl an Besucherinnen und Besucher als auch an ihrer regen Teilnahme an den offenen Diskussionen, die im Anschluss zu den Vorträgen stattfanden.

Beziehungen: lokal bis international

Aus den Präsentationen wurde deutlich, dass das Dominikanerkloster in Wien weit mehr als nur ein Ort des Kultes, des Gebetes und des Studiums ist. Ein Teil seiner langen, ununterbrochenen Geschichte sind lokale und internationale Beziehungen (zum Landesfürsten, zum Bürgertum, zur Universität, zum Kaiserhof, zum Weltklerus, zu anderen Ordensgemeinschaften in der Donaumetropole, zu dominikanischen Nachbarprovinzen und innerhalb des weltweiten Predigerordens); um den Konvent bildeten sich Netzwerke. So zum Beispiel die im 15. Jahrhundert gegründete Rosenkranzbruderschaft, von der eine äußerst aufwendig gearbeitete und sehenswert illuminierte Handschrift zeugt. Bei einer Führung durch Kirche und Konvent wurde es den Tagungsteilnehmenden auch ermöglicht, selbst etwa einen Blick in dieses wertvolle Dokument „Cod. 417/214“ (s. großes Foto oben) zu werfen, von der Orgelempore aus die jüngst renovierte Dominikanerkirche mit seinen prächtigen Deckenmalereien und Kapellenausstattungen wirken zu lassen oder in die Gruft des Konventes zum Grab von Kaiserin Claudia Felizitas (1653 – 1676) hinabzusteigen.

Foto links: Im Rahmen des Kolloquiums wurde den Vortragenden auch eine Führung durch den Wiener Dominikanerkonvent angeboten. Dabei konnten sie zum Beispiel im Kapitelsaal bei einer Handschriften- und Inkunabelpräsentation ausgewählte historische Dokumente in Augenschein nehmen. Foto Mitte: Entdeckungen und neue Erkenntnisse stellte etwa Dr. Katharina Hranitzky (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Mittelalterforschung) bei ihrem Vortrag „Aus Kloster, Stadt und ferneren Gegenden: Die illuminierten Handschriften und die Einbandfragmente der Wiener Dominikanerbibliothek“ vor. Foto rechts: Im Anschluss zu den Vorträgen im Thomassaal des Wiener Dominikanerkonventes fand eine rege Teilnahme an den offenen Diskussionen statt.

„Eine der kühnsten Innovationen“

Univ.-Prof. Dr. Thomas Prügl, Leiter des Faches Kirchengeschichte am Institut für Historische Theologie der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien, erklärt: „Der Dominikanerorden repräsentiert eine der kühnsten Innovationen der Kirchengeschichte: seine ,demokratische‘ Verfassung, eine bedingungslose Verpflichtung zum Studium als Voraussetzung für Verkündigung und Seelsorge, und nicht zuletzt die hohe Zahl von Intellektuellen und Koryphäen in seinen Reihen zeigen, dass der Orden die Kirche fundamental geprägt hat.“ Und weiter: „Der Erfolg des Ordens erklärt sich nur, wenn man die Verbindung von Dominikanern und Stadt mitbedenkt. Beide haben sich immer wechselseitig geprägt, geformt und befruchtet“, so Univ.-Prof. Prügl, der mit seinem Vortrag „Konkurrenten und Kollegen“ die Dominikaner im Streit mit dem Wiener Weltklerus um die Mendikantenprivilegien beleuchtete.

Beeindruckende Einblicke

Schließlich wurden dem Publikum, in dem sich auch Pater Peter Kreutzwald OP, Provinzial der Dominikanerprovinz des Hl. Albert in Deutschland und Österreich, befand, Einblicke gewährt in die erst kürzlich erfolgten Arbeiten zur Inventarisierung und Digitalisierung von Kunstgütern des Konvents sowie in das Vorgehen bei der Restaurierung von Gemälden der Dominikanerkirche S. Maria Rotunda (2020-2022). Bei den erstmals repräsentierten Ergebnissen der Kulturgutinventarisierung, bei der insgesamt 1055 Inventarnummern vergeben und über 12.000 Fotos angefertigt wurden, gab es allerhand Staunenswertes. So wurde etwa über den Zufallsfund eines versteckt und eingerollt gelagerten Altargemäldes des Märtyrers Johannes von Köln aus dem 19. Jahrhundert berichtet.

Dominikanerpater Viliam Štefan Dóci hält fest, dass die Arbeitsberichte über die in den vergangenen Jahren durchgeführten Digitalisierungs-, Restaurierungs- und Inventarisierungsprojekte letztlich eine wichtige Grundlage für weitere historische und kunsthistorische Forschungen darstellen würden. Und so sei die Tagung auch eine „Einladung zu weiterer Forschung“ – nicht zuletzt im Hinblick auf die Publikation zum 5. Isnard-Wilhelm-Frank-Kolloquium, die zum Jubiläumsjahr 2026 erscheinen soll.

Mitorganisator Dr. Armand Tif, Leiter der Historischen Sammlungen des Dominikanerkonvents Wien, ergänzt: „Die Tagung hat nicht nur neue wissenschaftliche Impulse gesetzt, sie hat auch Desiderate an die Kunstforschung zur intensiveren Auseinandersetzung und Präsentation dieses für den Dominikanerorden und für die Stadt Wien bedeutenden Kulturerbes vorgestellt. Der Dominikanerkonvent beherbergt hochrangige Kunstschätze wie etwa Fresken oder Buchmalereien aus acht Jahrhunderten, die kunsthistorisch noch immer kaum erforscht sind.“

Freuen sich über die ergebnisreiche Tagung (von links):
Dr. Armand Tif (Leiter der Historischen Sammlungen des Dominikanerkonvents Wien),
Pater Peter Kreutzwald OP (Provinzial der Dominikanerprovinz des Hl. Albert in Deutschland und Österreich),
Dr. Viliam Štefan Dóci OP (Präsident des Historischen Instituts des Predigerordens),
Univ.-Prof. Dr. Thomas Prügl (Leiter des Faches Kirchengeschichte am Institut für Historische Theologie der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien) und
P. Markus Langer OP (Prior des Dominikanerkonvents Wien).

5. Isnard-Wilhelm-Frank-Kolloquium

Die Kolloquien-Reihe, die 2011 begann, ist benannt nach dem Kirchen- und Ordenshistoriker Pater Isnard Wilhelm Frank OP (1930 – 2010). Er promovierte 1964 an der Universität Wien und war von 1979 bis 1995 Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte und Religiöse Volkskunde am Fachbereich Katholische Theologie der Johannes-Guttenberg-Universität in Mainz.
Pater Isnard war u.a. Leiter des Instituts zur Erforschung der Geschichte des Dominikanerordens im deutschen Sprachraum; die Geschichte der Wiener Dominikaner war ein wichtiger Forschungsschwerpunkt von ihm. Im Jahr 1998 siedelte er in den Wiener Konvent S. Maria Rotunda über, wo er bis zu seinem Tod am 13. Oktober 2010 lebte.